Macht voll verändern
Das neue Buch von Eva Stützel
Eva Stützel hat sich getraut, ein sehr klares Buch zum Umgang mit Macht, Privilegien und Ungleichheiten in Gruppen egal welcher Art zu schreiben. Sie kann das, weil sie ist sicher eine der erfahrensten Begleiterinnen von Gemeinschaftsprojekten, insbesondere Wohnprojekten, ist und weil sie einen hohen persönlichen Rang hat. Aber dazu später mehr.
„Keine Macht für niemand“ ist ein Slogan aus den 1980igern, der mir immer gut gefiel – die doppelte Verneinung sagt ja nichts anderes, als „Macht für alle“ und das fanden meine ziemlich links-gestimmten Gefährt:innen und ich immer uneingeschränkt erstrebenswert. 40 Jahre später scheint es allerdings noch Rede- und Entwicklungsbedarf zu geben und deshalb ist das Buch von Eva Stützel, ich nehme es vorweg, ein echter Meilenstein für alle, die immer wieder schmerzhaft damit konfrontiert sind, keine Macht für wenige zu wollen und genau das dann vorfinden respektive unbewusst herstellen: Macht und Ohnmacht in Gruppen.
Der Titel ist Programm: Macht voll verändern
Doppeldeutig ist er – Dinge machtvoll verändern und Macht voll verändern haben gemeinsam, das Thema Macht und den Umgang damit auf gute Weise bearbeiten und entwickeln zu wollen. Macht definieren die meisten von uns negativ – Macht auszuüben ist unsexy und verboten, gehört in Politik und Wirtschaft, aber auf keinen Fall in sogenannt hierarchiefreie Projekte – und doch finden wir sie dort. Wie überall. Und das ist ein Problem.
Im Buch wird schon ganz zu Beginn unterschieden zwischen Macht über (Power over) und Macht mit (Power with) – Gruppen, die sich für Kooperation und Gleichwürdigkeit entscheiden, werden mit Macht zu tun bekommen. Das ist Fakt. Weil Menschen unterschiedlich sind. Die These des Buches lautet: Wenn wir bewusst mit Macht umgehen, wird daraus Gestaltungskraft und damit können wir GEMEINSAM machtvoll (siehe Titel) handeln. Der Tenor des ganzen Buches geht in diese Richtung: Lasst uns hinschauen, wo sich Macht „versteckt“, lasst uns gemeinsam schauen, was das bedeutet und dann alles geben, um aus altmodisch-patriarchaler Macht moderne Gestaltungskraft werden zu lassen.
Deep Democracy und der Rang
Grundlage des Buches ist das Modell der Prozessorientierten Psychologie, entwickelt von Arnold und Amy Minell – die Arbeit damit in Gruppen wird häufig als „World Work“ oder „Deep Democracy“ benannt. Darin wird der Begriff des Ranges eingeführt - genannt sind: sozialer (Alter, Geschlecht, Nationalität, Bildungsstand, Netzwerke), persönlicher (Intelligenz, Attraktivität, körperliche Gegebenheiten), psychologischer (Urvertrauen,Selbstbewusstsein, Lernbereitschaft), struktureller (Position, Zugehörigkeitsdauer, finanzielle Position) und, nachgeordnet, demokratischer Rang (Vorrechte/ Einschränkungen bezogen auf Werte der Gemeinschaft).
Was bedeutet das für Gruppen? Genau das: Wir bekleiden unterschiedliche Ränge und agieren aus diesen. Wer in fast allen Bereichen einen hohen Rang gewöhnt ist, schaut anders in die Welt als wenn das nicht der Fall ist. Und, ganz besonders wichtig: die anderen schauen auch nach Rang und Namen. Das erklärt vieles, was auch in alternativen, scheinbar hierarchiefreien Gruppen eher subtil als offen aber immer wieder Thema ist: Es gibt Mächtige und Ohnmächtige...
Ich stelle mir vor, Menschen, die in Gruppen gemeinsame Wege gehen, egal wohin, würden dieses großartige Buch zumindest auszugsweise gemeinsam lesen – ich bin sicher: Die Gruppenwelt würde eine andere und Macht dürfte das sein, was Eva Stützel als wesentlich empfindet: Gestaltungskraft. Die ist nicht bei allen gleich verteilt, aber jeder Mensch hat sie. Mal im Großen mal im Kleinen – herauszufinden, wie alle in ihre Kraft, und damit zu Macht = Einflussmöglichkeiten kommen, ist die Botschaft der Buches.
Rang & Macht: Verschiedene Ansätze versüßen den Brei
Auf Grundlage des Rangmodelles entwickelt Eva Stützel einen Handwerkskasten für Gestaltunsgwillige - wie alle ihre Bücher ist auch dieser Titel gleichzeitig theoriefüllig und praxisorientiert. Neben der Prozessorientierten Psychologie stellt sie weitere Modelle und Ansätze vor, die gut miteinander kombinierbar sind. So gibt es einführende Kapitel zu Quellen-Prinzip und Growth Mindset, sie stellt methodische Ansätze wie Rang & Nervensystem, Drama-Dreieck, Soziokratie und, ganz herausragend, den bewussten Umgang mit dem eigenen Rang vor. Um den Schritt in die Praxis zu erleichtern, gibt es jede Menge Fallbeispiele, was die doch umfangreichen Theorieteile angenehm auflockert.
Eva Stützel stellt zur Verfügung, was aus ihrer Sicht hilfreich sein kann, Menschen zusammen in ihre Kraft zu bringen – dabei ist ein neuer, bewusster und freundlicher Umgang mit Macht, die Entdeckung der (eigenen und gemeinsamen) Gestaltungskraft und, daraus resultierend, ein gleichwürdiges Gruppen-Tun gleichermaßen Basis und Ziel. Ihre eigenen Erfahrungen mit Macht spielen immer wieder eine Rolle – als Frau mit hohem Rang hat sie aus dieser Perspektive einiges beizusteuern; in diesen Passagen wird für die Leser:in fühlbar deutlich, wie wünschenswert ein anderer Umgang mit Macht ist, nicht nur für diejenigen, die wenig davon haben.
Meine Empfehlung für alle, die sich in Gruppen bewegen (also für alle :-)): Kaufen, gemeinsam lesen und...Macht voll verändern.
Eva Stützel
Macht voll verändern
Rang und Privilegien in „hierarchiefreien“ Projekten
eurotopia
ISBN 978-3-911460-9
22,-€
Gerne in deiner Buchhandlung vor Ort bestellen oder direkt unter https://eurotopiaversand.de/Buch-Print/Macht-voll-veraendern.html