Berufliche Herzensanliegen
Fragen an Dorothe Ristau
Wer in einem therapeutischen, beratenden oder begleitenden Beruf arbeitet, bringt eigentlich immer (s)eine Geschichte mit. Diese Geschichte ist mehr oder weniger offensichtlich, bei genauerem Hinsehen gibt es fast immer eine Verbindung zur der eigenen Biografie. Was nicht heißt, dass alle Therapeuten alle Krankheiten durchgemacht haben, die sie dann behandeln - natürlich nicht.
Bei Dorothea Ristau ist der Zusammenhang klar - sie hat ihre eigen Erfahrung mit einer Esstörung als Impuls genommen, sich professionell mit dem Thema zu beschäftigen - herausgekommen ist ein eigenes Onlineportal, essmo: Wege aus der Esstörung.
Im Heilnetz-Interview gibt sie Einblick in ihr Herzensanliegen.
Wann und warum hast du mit deiner Arbeit begonnen? Gab es einen Impuls?
Das Thema „Essstörung“ begleitet mich inzwischen seit fast 17 Jahren. Ende 2002 begann ich, sehr langsam aber unaufhaltsam, in eine Essstörung zu rutschen und diese sollte mich die nächsten 6 1/2 Jahre meines Lebens begleiten. Ich habe viele Tiefen durchlaufen, die eine Essstörung mit sich bringt, habe gehungert und gefressen, habe gelitten und gekämpft. Und bin letztendlich den alles entscheidenden Schritt aus der Essstörung in die Freiheit gegangen.
Der erste Impuls, mich auch beruflich diesem Thema zuzuwenden, kam vor exakt 10 Jahren. Ich war aus meiner Studienstadt Görlitz, in der ich mich sehr einsam gefühlt hatte, zurück in meine Heimatstadt Dresden gezogen. Die letzten Monate in Görlitz waren so schrecklich gewesen, dass ich glaubte, nie wieder glücklich zu werden. Doch dann hatte ich vollkommen überraschend während des Umzugs meine Essstörung irgendwo unterwegs verloren.
So saß ich in meiner neuen Wohnung in Dresden – glücklich, frei und ein neues Leben beginnend. Und in einem leisen Moment war er auf einmal da, dieser sehr zukunftsweisende Gedanke: „Ich habe diesen ganzen Horror nicht für umsonst durchgemacht. Irgendwann wird es irgendjemandem mal nütze sein.“
Damals wusste ich noch nicht, was dies für mein weiteres Leben bedeuten sollte, aber von dem Moment an übte die Thematik einen ungeheuren Sog auf mich aus. Auch wenn ich beruflich erst einmal im pädagogischen Bereich landete, orientierte ich mich von Anfang an über Weiterbildungen und ehrenamtliche Tätigkeiten hin zu Beratung, Therapie und Essstörungen.
Einen wichtigen Meilenstein erreichte ich im Jahr 2014. Inzwischen war ich glückliche Mama. Doch bei aller Freude über das Mamadasein sehnte ich nach einer geistigen Aufgabe, die mich wirklich erfüllt. So kam es, dass ich schließlich Abend für Abend an meinem Schreibtisch saß und mir erste Gedanken zu einem Onlineportal für Menschen mit Essstörungen machte.
Bis die Seite online ging, verstrichen noch ein paar Jahre, da inzwischen mein zweites Kind das Licht der Welt erblickt hatte. Doch der richtige Zeitpunkt kam. essmo: Wege aus der Essstörung startete im August 2017 als kleiner Blog und begann von da an, langsam, aber kontinuierlich zu wachsen.
Was ist dein Herzensanliegen dabei?
Ich möchte dazu beitragen, dass sich ein neues, ganzheitliches Bewusstsein über Essstörungen ausbreitet, bei dem es darum geht, hinter den körperlichen Hunger zu schauen und zu erkennen, wonach die Seele hungert. Und mir ist es ein Herzenswunsch, zu vermitteln, dass es möglich ist, eine Essstörung zu überwinden.
Was genau finde ich bei dir? Hast du ein Konzept?
essmo wächst nach und nach zu einem Onlineportal heran, auf dem sich Betroffene, Angehörige und fachlich Interessierte wohl fühlen mögen. Neben den Basis-Informationen für besagte drei Zielgruppen und einem sehr umfangreichen Blog, sollen verschiedene Onlineangebote sowie Offline-Angebote in Dresden entstehen.
Besonders hervorheben möchte ich aber die zwei großen Schwerpunkte meiner Arbeit:
- Zum einen läuft bereits ein immer umfangreicher werdendes Forschungsprojekt, in welchem ich herausfinden möchte, wie über Berührung Heilung geschieht. Neben den vielen Berührungserfahrungen, die ich momentan sammeln darf, und dem Besuch einer integralen Ausbildung in sinnlicher Heilmassage im AnuKan®-Zentrum für Berührungskunst in Dresden entsteht ein Netzwerk an Menschen aus den unterschiedlichsten Fachgebieten, welche die Forschungsarbeiten mit ihrem Wissen und ihren Erfahrungen unterstützen. Aus den Forschungsergebnissen möchte ich im Anschluss eine körperorientierte Methode entwickeln, welche Menschen auf ihrem Weg aus der Essstörung unterstützen möge.
- Zum anderen ist ein Netzwerk Essstörungen in Planung, was sich mit der Zeit über Deutschland, Österreich und die Schweiz ausbreiten soll. In diesem können sich Betroffene, Angehörige sowie Fachleute aus dem Gebiet Essstörungen miteinander vernetzen, einander inspirieren und unterstützen sowie voneinander lernen. Auf diese Weise soll ein kraftvolles Netz an Menschen entstehen, von denen jede und jeder seinen Teil dazu beiträgt, dass sich ein ganzheitlicher Blick auf Essstörungen ausbreitet.
Warum glaubst du, braucht die Welt genau dieses Angebot?
Ich wünsche Betroffenen von Herzen, dass sie Freundschaft mit ihrem Körper schließen, da ich selbst die Erfahrung gemacht habe, dass es möglich ist, den eigenen Körper mit der Zeit immer mehr auf allertiefster Ebene anzunehmen. Und ich glaube, dass Körperarbeit, aber auch liebevolle und achtsame Berührungen viel dazu beitragen können, damit genau dies geschehen kann. Deshalb ist es mir wichtig, die Arbeit im Bereich Essstörungen mit einer körperorientierten Methode zu bereichern und Betroffene auf diese Weise zu unterstützen.
Und ich möchte einen virtuellen Raum schaffen, in welchem Betroffene die Erfahrung machen, dass sie nicht allein sind mit ihren Fragen, ihren Sorgen, ihren Ängsten. Ich habe mich während meiner Essstörungszeit oftmals sehr einsam gefühlt. Irgendwie anders. Und irgendwie krank. Und ich weiß auch von vielen anderen Betroffenen, wie sehr sie sich dafür schämen, eine Essstörung zu haben.
Das Netzwerk Essstörungen soll deshalb einen Raum eröffnen, in welchem Betroffene andere Erfahrungen machen können. In welchem sie erleben, dass es anderen ganz genauso geht und dass sie weder anders noch krank sind. Und auch die Fachleute mögen ihr Wissen und ihr Wirken bündeln, damit daraus eine Kraft entsteht, welche ganz, ganz vielen Betroffenen, aber auch Angehörigen zugutekommen möge.
Drei Gründe ein, die mich dazu bewegen können, dein Portal zu besuchen oder dein Angebot in Anspruch zu nehmen?
- Da ich selbst den Weg durch die Essstörung gegangen bin, weiß ich, wie es ist, eine Essstörung zu haben, kann Betroffene auf einer sehr tiefen Ebene verstehen und möchte gleichzeitig vermitteln, dass es möglich ist, eine Essstörung zu überwinden.
- Ich möchte Angehörigen Mut machen, dass sie dann, wenn ein Familienmitglied an einer Essstörung leidet, der Situation nicht hilflos ausgeliefert sind, sondern dass sie immer Handlungsmöglichkeiten haben.
- Von fachlicher Seite her möchte ich meinen Beitrag für die Therapiewelt leisten, indem ich die Themen „Berührung & Heilung“ miteinander verknüpfe. Und es wäre mir eine große Ehre, wenn Kolleginnen und Kollegen Impulse für ihre Arbeit mitnehmen würden.
Ein Artikel von
Dorothea Ristau
01307 Dresden
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Profil von Dorothea Ristau
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