Rezension: Nächsten Freitag sterbe ich

Eltern sterben. Meistens, zum Glück, vor uns. Nicht umgekehrt.

© Tredition GmbH
11. Oktober 2025 von Conny Dollbaum-Paulsen

Was für ein Glück, wenn wir beim bevorstehenden Tod unserer Eltern innerlich so gereift sind, dass wir diesen schmerzhaften Prozess in voller Wachheit aushalten können. Wenn wir nicht vor unseren Gefühlen weglaufen müssen, wenn wir Raum geben oder, wie die die Autorin es nennt, auch die schwierigen und ungeliebten Gefühle nach Hause holen können.

Denn genau darum geht es in diesem Buch.

Bettina van Amerongen begleitet ihren Vater durch die letzten elf Monate seines insgesamt sehr langen Lebens und nimmt die Leser:in mit auf eine Reise mitten in ihr Herz und mitten ins Herz des Menschseins.

Ob Trauer, Wut, oder, immer wieder, Ohnmacht und, manchmal fast gleichzeitig, tiefe Berührung, Freude und bedingungslose Liebe – die Leserin darf mitfühlen, mitbangen, miterleben, was die Autorin auf sehr direkte, fast umgangssprachlich Weise beschreibt.

Was für eine Erfahrung: der Vater ist dement und hellwach, vergisst alles und weiß, dass er seine Frau liebt, weiß, dass er sterben wird und spielt damit, stellt sich vor, wie er nach seinem Tod noch schauen will, ob seine Frau auch weint…leidet, erinnert sich und liebt in wilder Mischung.

Ein persönliches Buch mit Tiefenschärfe

Dieses tolle Buch ist kein Tagebuch. Kein Sachbuch. Kein Ratgeber. Und doch ist es persönlich, fast intim, wie ein Tagebuch, voller auch therapeutischer Expertise wie ein Sachbuch und ermutigend wie ein richtig guter Ratgeber.

Und doch ist es viel mehr – es ist lustig, weil Vater und Tochter sehr viel, auch schwarzen, Humor haben, der bis zum letzten Atemzug hervorscheint. Es ist spirituell, weil die Frage, wer wir sind, wie wir leben und wohin wir gehen auf unterschiedliche Weise mit gestellt und sehr persönlich beantwortet werden. Es ist weise, weil Bettina van Amerongen nicht nur den Vater und sich selbst im Blick hat, sondern auch liebevoll auf die Mutter in all ihrer Überforderung, die 4 Schwestern in all ihrer Unterschiedlichkeit und auch das gesamte System mit den verschiedenen Rollen von Elternschaft, Kindheit, Erwachsensein als Kind schaut.

Sehr berührend dabei ist das Kapitel über die schicksalhafte Lebensgeschichte des Vaters, ein als Junge mit seiner Familie aus Polen Vertriebener, der wiederholt Schlimmes erleben musste, was erst in hohem Alter bewusst erinnert und geteilt werden darf, was die Autorin bewusst als transgeneratives Trauma erfährt und begreift.

Das Buch erzählt von den wunderbaren Fähigkeiten und Unfähigkeiten eines Menschen – individuell und doch eingewoben in gesellschaftliche Zusammenhänge, sehr persönlich und gleichzeitig darüber hinausweisend.

Die Tiefe des Buches berührt durch die Direktheit der Autorin - kein Rumgerede, keine langen Analysen, dafür sehr viel authentische Erfahrung in allen Farben des Regenbogens.
Dies ist eine unbedingte Leseempfehlung für alle, die ihren Gefühlen trauen wollen, deren Eltern schon gestorben sind (es ist nie zu spät, inneren Frieden zu machen) und für alle, die dies noch vor sich haben.

Dieses Buch erhältst du im Buchhandel vor Ort oder auch online bei buch7.de, dem Online-Buchhandel mit sozialer Seite.

Bettina van Amerongen
Nächsten Freitag sterbe ich
Mein Vater auf dem Weg zu seiner Essenz
Tredition GmbH
Taschenbuch € 18,-
Epub € 9,99

Die Autorin im Interview zur Entstehung des Buches:
https://www.youtube.com/watch?v=TCDslk8eEJQ

ISBN 978-3-384-62435-4

Ein Artikel von
Heilnetz OWL