Interreligiöse Pilgerreisen

Ein muslimischer Blick auf Spiritualität

Ein Muslim auf dem Jakobsweg
©Verlag Herder GmbH
26. April 2025 von Martina Seifert

Pilgerreisen faszinieren mich. Doch bis heute bin ich dem nicht Ruf gefolgt, in dieser Form nach Innen zu gehen. Das könnte sich vielleicht ändern, in einer Zeit, in der der interreligiöse Dialog immer mehr an Bedeutung gewinnt.

Ausschlaggebend für mein erneutes Interesse an einer Pilgerreise oder Wallfahrt ist die Lektüre des Buches "Ein Muslim auf dem Jakobsweg" von dem islamischen Theologen Mouhanad Khorchide. Das Buch ist ein besonders beeindruckendes Beispiel für diese Form spiritueller Begegnung. Die persönlichen Erfahrungen des Autors eröffnen ganz neue Perspektiven auf die tiefen spirituellen Verbindungen zwischen den Weltreligionen und ihren universellen Werten von Liebe und Mitgefühl.

Ein muslimischer Theologe auf christlichem Pilgerpfad

Mouhanad Khorchide, Professor für Islamische Religionspädagogik, unternimmt in seinem Buch einen entscheidenden und mutigen Schritt: Er macht sich als Muslim auf den Jakobsweg – eine Pilgerreise, die traditionell mit dem Christentum verbunden ist. Doch statt Barrieren zwischen den Religionen zu sehen, betont Khorchide die verbindenden Elemente. Sein persönlicher Weg wird zu einem wichtigen Symbol für den Brückenschlag zwischen Kulturen und Glaubensrichtungen.

Der Jakobsweg selbst, seit Jahrhunderten ein Ort der Suche nach Gott und Lebenssinn, wird in Khorchides Erzählung zu einem Raum, in dem religiöse Unterschiede zugunsten spiritueller Gemeinsamkeiten in den Hintergrund treten. Denn universelle Themen wie Liebe und Mitgefühl verbinden alle religiösen Traditionen und uns Menschen miteinander.

Gemeinsame Wurzeln der abrahamitischen Religionen

Khorchides Reise verdeutlicht, wie tief die gemeinsamen Wurzeln von Judentum, Christentum und Islam reichen. Alle drei Religionen beziehen sich auf Abraham bzw. Ibrahim als Stammvater des Glaubens. Diese gemeinsame Herkunft spiegelt sich auch in den Grundwerten wider: die Liebe zu Gott und den Mitmenschen, Mitgefühl gegenüber Schwächeren und die Suche nach Gerechtigkeit.

Der Jakobsweg wird in Khorchides Bericht zum Symbol für die Suche nach sich selbst. Während er mit Menschen unterschiedlicher religiöser und weltanschaulicher Hintergründe ins Gespräch kommt, entsteht ein Gefühl der Verbundenheit, auch wenn es nicht nur zu bereichernden Gesprächen kommt, sondern auch zu irritierenden Begegnungen. Es ist genau diese Offenheit für alles, was kommt, die auf Pilgerreisen und Wallfahrten erfahrbar wird, - eine Unvoreingenommenheit, die unseren Weltfrieden fördern kann.

Liebe und Mitgefühl als spirituelle Essenz

Khorchides betont seine Erkenntnis, dass wahre Spiritualität Liebe und Mitgefühl bedeutet – zwei Werte, die in allen großen Religionen zentral sind. Für Muslime erinnert der Begriff "Rahma" (Barmherzigkeit) an die göttliche Liebe, die jeden Menschen umfasst. Im Christentum wird diese Liebe durch bedingungslose Nächstenliebe verkörpert, während im Judentum die Gebote der Tora zur Fürsorge und Mitmenschlichkeit aufrufen.

Khorchide beschreibt, wie diese Werte auf dem Pilgerweg lebendig werden. In Momenten der Erschöpfung erfährt er Unterstützung von anderen Pilger:innen, sei es durch ein freundliches Wort, ein Stück Brot oder eine helfende Hand. Wahre Menschlichkeit kennt eben keine religiösen Grenzen.

Spiritualität als gemeinsamer Erfahrungsraum

Khorchides Buch lädt uns ein, Spiritualität nicht als Besitzstand einer bestimmten Religion zu sehen, sondern als universelle Sehnsucht des Menschen nach Verbindung mit seinen Mitmenschen und dem, was über das rein Weltliche hinausgeht.

Heilung durch Verbindung und Begegnung

Pilgerreisen wie die von Khorchide bieten Raum für spirituelles Wachstum und für Heilung – von Vorurteilen, Ängsten und inneren Wunden. Sie erinnern uns daran, dass Heilung oft in der Begegnung mit dem/der Anderen liegt.

Khorchides motiviert, sich auf den Weg zu machen – sei es auf traditionellen Pilgerrouten oder durch eine bewusste Öffnung für andere Lebens- und Glaubenswelten, die sich zu jederzeit und an jedem Ort ereignen kann. Für den Theologen ist die Suche nach Spiritualität und innerer Harmonie ein universelles Anliegen, die alle Menschen unabhängig von ihrer Herkunft eint.

Gespannt bin ich auf das interreligiöse Pilgerprojekt, das der Professor für Islamische Religionspädagogik an der Universität Münster derzeit gemeinsam mit seinen Studierenden plant: eine christlich-muslimische Pilgerreise nach Mekka.

Fazit: Ein Weg zu mehr Verständnis und Frieden

Das Buch "Ein Muslim auf dem Jakobsweg" ist eine bewegende Einladung, uns über religiöse Grenzen hinwegzusetzen und nach dem zu suchen, was uns verbindet. Es zeigt, dass Liebe und Mitgefühl zentrale Werte aller großen Religionen sind und interreligiöse Begegnungen unsere Spiritualität vertiefen können.
Khorchides inspiriert seine Leser:innen, den eigenen spirituellen Weg zu reflektieren und neue Impulse für Heilung und Verbundenheit zu entdecken. Der Jakobsweg – egal, ob wir ihn tatsächlich begehen oder symbolisch verstehen – bleibt ein kraftvoller Ort der Begegnung, der Transformation und des Friedens.

"Ein Muslim auf dem Jakobsweg. Pilgererfahrungen der anderen Art" von Mouhanad Khorchide erhältst du im Buchhandel vor Ort oder auch online bei buch7.de, der Online-Buchhandel mit sozialer Seite.

Mouhanad Khorchide
Ein Muslim auf dem Jakobsweg
Pilgererfahrungen der anderen Art
Verlag Herder
1. Auflage 2024
176 Seiten
ISBN: 978-3-451-39721-9

Auf der Website des ZDF kannst du dir ein spannendes Interview mit dem Autor Mouhanad Khorchide anschauen, in dem er von seinen Erfahrungen auf dem Jakobsweg berichtet.

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