Wieso wir am Meer tiefer atmen

Resonanz und Atem

Wieso wir am Meer tiefer atmen
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von Conny Dollbaum-Paulsen
(letzte Überarbeitung: 16. August 2016)

Jeder Mensch kennt das:
Auf einem Deich oder einer Düne, auf einem Hügel, an einem Gewässer, am Fuße eines alten Baumes oder am Rand einer Blumenwiese stehend, sind wir beindruckt von Weite, Tiefe, Schönheit oder Mächtigkeit. Und atmen unmittelbar tiefer, erleben Atemzüge, wie wir sie sonst nicht kennen.

Der Soziologe Hartmut Rosa ist der Meinung, dass dies nicht an der besseren Luft liegt, die es an solchen Orten meist in Fülle gibt.

In seinem sehr dicken und sehr wissenschaftlichen Buch „Resonanz – Eine Soziologie der Weltbeziehung“ schreibt er unter anderem über Atem, über die Art und Weise, uns im Atmen mit der Welt zu verbinden, mit ihr in Resonanz zu gehen.

Wikipedia schreibt zu Resonanz:
Resonanz (von lateinisch resonare „widerhallen“) ist in Physik und Technik das verstärkte Mitschwingen eines schwingfähigen Systems, wenn es einer zeitlich veränderlichen Einwirkung unterliegt.

Ob uns das bewusst ist oder nicht, vor allem auch, ob wir das wollen oder nicht: Wir müssen atmen und dadurch mit unserer Umgebung, welcher Art diese auch immer sein mag, in Austausch gehen.

 

Aber leider ist Austausch nicht gleich Resonanz.

Beim Anblick des Meeres oder einer Blumenweise oder eines Wolkenhimmels gehen wir in Resonanz, wir weiten unsere Brust, öffnen uns für ein Gefühl von Verbundenheit, gehen in Kontakt mit dem, was die Welt in Form von Himmel, Wasser, Farbe und Schönheit zur Verfügung stellt. Wir wollen Teil davon sein und, ob uns dies bewusst ist oder nicht, erleben uns als solcher. Wir wollen uns damit verbinden, atmen deshalb tief ein, sind getröstet – eben: in Resonanz.

 

Atem vor Gericht fällt schwer

Auch in einem Gerichtssaal oder einem Großraumbüro atmen wir. Auch hier verbinden wir uns über die Ein- und Ausatemluft mit unserer Umgebung. Aber sind wir damit auch in Resonanz?

Zumindest nicht unbedingt in positiver Weise, eher beschleicht uns ein Gefühl von Enge, wobei auch das eine Form des Mitschwingens sein kann, nur eben nicht im positiven Sinne. Wir nehmen wahr, dass die Luft dick ist und uns der Atem etwas stockt.

 

Gelingendes Leben braucht Resonanz

Im gesamten Buch beschäftigt sich Rosa mit der Frage, inwieweit unsere Fähigkeit, mit der uns umgebenden Welt in positive Resonanz zu gehen, maßgeblich dazu beiträgt, wie zufrieden wir mit unserem Leben sind, ob wir es als gelingend empfinden oder nicht. Und welche Bedingungen erüllt sein müssen, damit die Welt um uns herum nicht verstummt…

Eines scheint klar: Wir benötigen die Antwort der Welt, in der Natur, in der Gesellschaft, in uns selbst und in unseren Beziehungen. Wir benötigen zweifellos einen weiten Himmel, Wasser, Wiese und Wald, um diese Form der Resonanz zu spüren – in unseren vollklimatisierten Büros kann diese grundmenschliche Art der Beziehung nicht stattfinden.

Deshalb weiten wir die Brust und vertiefen den Atem, wenn wir in der Weite oder Gewaltigkeit der Natur unterwegs sind. Mit guter Luft hat das nur sehr bedingt zu tun.

Und deshalb ist es wichtiger denn je, dass wir dieser Art von Weltbeziehung nicht nur im Urlaub Raum geben. Und noch wichtiger, dass wir alles tun, was hilft, dass jeder Mensch jeden Tag auf einfache Weise mit der Schönheit der Welt in Resonanz gehen kann. Eine nicht kleine Herausforderung…

Bis dahin gilt aber für alle, denen es möglich ist, dass jeder kleine Gang am Stadtrand, jede noch so kleine Radtour etwas abseits der Hauptverkehrsströme uns das zurückgibt, was wir so sehr vermissen: Verbundenheit.

Dass Bewegung an der frischen Luft gesund ist, weil Herz-Kreislauf angeregt und Muskulatur benutzt wird, ist dabei ein wunderbarer Nebeneffekt.

P.S. Therapeutisch wird dieses Thema beispielsweise im Naturcoaching, der Wildnispädagogik, der Naturerlebnispädagogik und der Tiergestützten Begleitung umgesetzt.

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