Covid-19 und Mikrobiom

Die herausragende Rolle des Mikrobioms

Lizenzfrei von Pexel
24. Februar 2021 von Dr. Anne Katharina Zschocke

Viren bestehen gewöhnlich aus Information, die in DNA- oder RNA-Nukleinsäure gespeichert ist. Sie ist in einer „Verpackung“ zusammengefasst, die aus Proteinen und je nach Art ohne oder – wie bei Corona-Viren – mit einer Hülle aus Lipiden und Polysacchariden gebildet ist.

Viren entfalten ihre Aktivität in Kontakt mit lebendigen Zellen.

Kommen Viren in Kontakt mit einem Menschen, begegnen sie zunächst dessen Haut und Schleimhäuten und dem darauf lebenden Biofilm mit Mikroorganismen. Erst die Forschung der vergangenen wenigen Jahre konnte auf jeder Körperoberfläche, auf der Haut und den Schleimhäuten, auch auf denen der Atemwege und in der Lunge jeweils ein typisches Mikrobiom nachweisen, also stabile Gemeinschaften von in Kooperation lebenden Mikroorganismen, die speziell an die jeweiligen Organe angepasst sind. Sie erfüllen dort Aufgaben, ohne die kein gesundes Leben möglich ist, darunter die Modulation der Immunreaktionen.

Voraussetzung für eine harmonische Begegnung zwischen Virus und Mensch ist also ein Mikrobiom, dessen Vielfalt, Fülle und kommunikativer Ordnung im Gesunden beiden Partnern eine angemessene Reaktion ermöglicht. Dabei regulieren Viren und Bakterien ihre Populationen beständig miteinander.

In den industrialisierten Ländern haben Menschen jedoch nach langjährigem Bakterienbekämpfen durch übertriebenes Desinfizieren, keimarme Umwelt, antibiotisches Vorgehen und mangelhafte Ernährung in ihrem Mikrobiom erhebliche Defizite. Auch viele chemisch-synthetische Medikamente greifen in das Mikrobiom ein. Das führt zur Anfälligkeit für Krankheiten.

Bakterienmangel führt zu Virusvermehrung

Bereits im Jahre 2012 zeigten Forscher bei Mäusen, dass Viren, die in den Atemtrakt gelangt waren, unter einer Antibiotikabehandlung erheblich später eliminiert und länger im Körper nachgewiesen werden konnten als bei nicht behandelten Tieren. In einem zweiten Experiment starben die Mäuse nach Bakterienbekämpfung früher als die Vergleichsgruppe an einem Influenza-Virus, das die Forscher den Mäusen vorher verabreicht hatten.

Die Erklärung dafür liegt in den Wirkungen, die die Bakteriengemeinschaft bei Mensch und Tier für die Integrität des Körpers hat.

Bakterien stellen eine eigene Lebenssphäre dar, durch die das Individuum mit der Umgebung wechselseitig in Einklang gebracht wird. Sie finden sich dazu auf allen äußeren und inneren Grenzflächen. Mikrobiomdefizite führen folglich zu Unverträglichkeiten aller Art, wie Allergien, Asthma, Heuschnupfen und Reizdarm, die alle als mikrobielle Mangelkrankheiten, früher „Zivilisationskrankheiten“ genannt, gelten.

Eine bakteriell gesättigte Schleimschicht als Biofilm über Epithelzellen fängt dabei auch Viren ab. Bakterien können Viren mit Oberflächenrezeptoren binden, knacken und auflösen. Sie können Enzyme abgeben, die Virusstrukturen zerlegen können. Durch Kontakt mit regulatorischen T-Lymphozyten und mit M-Zellen regen Bakterien Immunantworten an, die zur Produktion beispielsweise von sekretorischen Immunglobulinen A führen, welche Viren binden und neutralisieren können. Ein gesundes Darmmikrobiom führt zur Ausbildung zellulärer und mikrobieller Stoffwechselprodukte, die auch den pH-Wert im Gleichgewicht halten. Vom pH-Wert des Milieus wiederum hängt die Pathogenität und Wirkung mikrobieller und viraler Partikel ab.

Mikrobiomstörung entscheidet über Schwere der Erkrankung

In verschiedenen Studien wurde inzwischen aufgezeigt, dass der Zustand des Mikrobioms bedeutsam für die Erkrankung an Covid-19 ist und über deren Schweregrad mitentscheidet. Gastrointestinale Symptome treten bei vielen Erkrankten auf und man findet das Virus im Stuhl. Als Risikogruppen zählen Personen mit genau jenen Erkrankungen, bei denen bekannterweise bereits eine Mikrobiomstörung vorliegt, darunter Diabetes, Übergewicht, Koronare Herzkrankheit oder Krebs und bei alten und pflegebedürftigen Menschen.

In einer Studie bei stationären Patienten mit Covid-19 konnte ein signifikanter Zusammenhang zwischen Veränderung des Darmmikrobioms mit Fehlen von Faecalibacterium prausnitzii, Eubacterium rectale und Bifidobakterien und dem Schweregrad der Symptomatik festgestellt werden. Faekalibakterien spielen eine wichtige Rolle für die Schleimhautintegrität und die Synthese kurzkettiger Fettsäuren, welche das Milieu ansäuern, die Darmzellen mit Energie versorgen, Botenstoffe darstellen und Vorstufen für Neurotransmitter sind.

Auch bei Vorliegen von »Leaky gut« oder Parodontitis, beides ebenfalls Ausdruck von Mikrobiomerkrankungen, fand man ein höheres Risiko für schwere Verläufe.

Kommt es zu einer schweren Ausbildung von Covid-19 und zur künstlichen Beatmung, besteht das Risiko für eine Lungenentzündung. Auch hier kann der Vorzustand des Mikrobioms lebensentscheidend sein, denn dann führt häufig nicht das Virus selbst, sondern eine Superinfektion mit überwiegend antibiotikaresistenten „Krankenhauskeimen“ zum Tode.

Mikrobiompflege als Vorsorge und Therapie

Zur Vorsorge vor Viruserkrankungen empfehlen sich somit alle Wege, die das Mikrobiom als Ganzes unterstützen. Ausführlich sind sie im Buch „Natürlich heilen mit Bakterien“ (AT-Verlag) beschrieben und weitere Hintergründe sind im Buch „Darmbakterien als Schlüssel zur Gesundheit“ (Knaur-TB) zu finden. Dazu gehört der Verzicht auf bakterientötende Maßnahmen, darunter alkoholische Mundwässer, antibakterielle Zahnpasta oder aseptische Waschungen.

Als Ernährung empfiehlt sich eine saisonale abwechslungsreiche Mischkost mit reichlich präbiotischen Anteilen und fermentierten Lebensmitteln, möglichst frei von synthetischen Hilfsstoffen. Gründliches Kauen, Bewegung in frischer Luft, gesunde Begegnungen und ein ausgeglichenes Gemüt gestalten, auch über hormonelle Einflüsse, ebenfalls das Mikrobiom. Angst, Isolation und übermäßige Anspannung führen über die Stresshormon-Achse zu dessen Schwächung.

Mit Hilfe von mikrobiellen Mischkulturen wie den Effektiven Mikroorganismen kann man Haut und Schleimhäute mit lebenden Bakterien imprägnieren und so aktiv für eine Unterstützung des Mikrobioms sorgen.

Eine friedliche Haltung den Mikroben gegenüber ist dabei wegweisend für körperliche und psychische Gesundheit.

Literaturhinweise:

https://www.cell.com/immunity/fulltext/S1074-7613(12)00237-3

https://gut.bmj.com/content/early/2021/01/04/gutjnl-2020-323020

https://gut.bmj.com/content/gutjnl/69/6/997.full.pdf

https://doi.org/10.1101/2020.04.22.20076091:2020.04.22.20076091

https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fmed.2020.604980/full

https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC7833886/

https://link.springer.com/article/10.1007/s00253-020-10832-4

https://www.nature.com/articles/s41538-020-00078-9

https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC7833886/pdf/main.pdf

Datum: 08.02.2021

Dr. Anne Katharina Zschocke, Freie Fachdozentin und Buchautorin

Ein Artikel von
Dr. Anne Katharina Zschocke

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