Fokus: Anorexia nervosa

Berührungen nach Missbrauch

Fokus: Anorexia nervosa
© Erik Engelhardt

von Heilnetz-Beitrag
(letzte Überarbeitung: 11. Mai 2021)

Frauen mit Magersucht fallen vor allem durch eines auf: Ihre erschreckend dünne Figur, ihr kantiges Erscheinungsbild und das Fehlen jeglicher Rundungen. Bis heute stellt diese Form der Essstörung Angehörige, Fachleute und Wissenschaftler vor viele Rätsel: Was ist mit den Frauen los? Warum tun sie sich und ihrem Körper diese Grausamkeiten an? Und was müssen diese Frauen erlebt haben, dass sie sich lieber zu Tode hungern als mit ihrer Weiblichkeit in Kontakt zu kommen?

Natürlich hat ausnahmslos alles seinen Grund und bei einer Magersucht kommen wir nicht umhin, auch die körperliche Ebene in den Blick zu nehmen: Frauen, die ihren Körper ablehnen, neigen eher dazu, in eine Magersucht zu rutschen. Weiterhin wird in der Literatur auffällig oft der Zusammenhang von sexuellem Missbrauch und der Entwicklung einer Anorexia nervosa als Folgeerscheinung thematisiert.

Das heißt, eine Magersucht kann ein verzweifelter Versuch sein, mit den starken Energien, die während der als traumatisch erlebten Situationen freigesetzt wurden und die in der Regel noch im Körper lagern, umzugehen. Denn das extensive Hungern hilft, um überwältigend starke Angst, Verzweiflung, Traurigkeit oder Hass auszuhalten und diese Gefühle zu regulieren.

Nun wissen ganzheitlich arbeitende Fachleute und für dieses Denken aufgeschlossene Betroffene natürlich, dass es wenig sinnvoll ist, am Symptom zu arbeiten, da die Ursache angeschaut werden will. Es ist ziemlich aussichtslos, ein gesundes Essverhalten zu etablieren, solange die Missbrauchserfahrungen nicht integriert sind. Denn erst, wenn die Ursache bearbeitet ist, verschwindet das Symptom von alleine.

Berührende Momente für Frauen

Es ist ein großer Erfolg der letzten Jahrzehnte, dass Psychotherapeut*innen, Heilpraktiker*innen und Traumatherapeut*innen Frauen bei der Bewältigung ihrer Missbrauchserfahrungen begleiten und dass dieses Thema schon ein gewisses Maß an Öffentlichkeit hat. Diese therapeutische Begleitung ist eine wichtige Etappe auf dem Weg der Integration von sexuellem Missbrauch.

Bisher relativ unbekannt ist dagegen eine weitere, nicht weniger bedeutsame Etappe: Die Arbeit auf Körperebene in Form von Berührungen. Denn gerade in den von den Krankenkassen bezahlten Therapien wird vor allem geredet. Doch wenn eine Betroffene eine lebendige Form von Sexualität entwickeln möchte, so wird sie nicht umhin kommen, auch auf Körperebene neue, ermutigende Erfahrungen zu sammeln.

Natürlich lässt sich in einer Therapie darüber sprechen, was wohlwollende Berührungen bewirken, wo bei den Frauen mögliche Grenzen liegen und wie diese gesetzt werden könnten. Doch wie es sich tatsächlich anfühlt, lässt sich nur erfahren. Wenn Betroffene in einem geschützten Rahmen die Möglichkeit haben, sich auf ganz praktische Weise mit Berührungen auseinander zu setzen, so können sie für sich herausfinden: Wo möchte ich gerne berührt werden? Welche Berührungen mag ich? Und an welchen Stellen meines Körpers ist es mir unangenehm? Auch das Erleben einer achtsamen und respektvollen Yoni-Massage kann eine wichtige Erfahrung auf dem Weg sein.

In der Tantraszene ist es bereits nichts Ungewöhnliches mehr, dass Frauen, die sexuellen Missbrauch erlebt haben, Tantramassagen buchen. Somit ist ein eigenes Berufsbild entstanden und die Masseurinnen und Masseure leisten einen wichtigen Beitrag in der Begleitung von betroffenen Frauen. Nur hat dieses wertvolle Wirken bisher kaum Öffentlichkeit und nur wenige Betroffene wissen, dass es diese Möglichkeit gibt.

Podcast zum Thema Berührende Momente

Der Podcast Berührende Momente für Frauen möchte dies ändern und eine öffentliche Plattform schaffen. Er gibt Frauen, die sich nach sexuellem Missbrauch – mit und ohne Essstörung als Folgeerscheinung – mit dem Thema der Berührungen auseinander setzen wollen, viele spannende und hilfreiche Informationen. Außerdem möchte er Fachleute dazu anregen, sich mit Massierenden und anderen Berührungskünstlern stärker zu vernetzen und voneinander zu lernen. Erste Inspirationen liefern die Kolleginnen und Kollegen, die in den einzelnen Podcast-Folgen zu Gast sind.

Denn es wäre wirklich schade, wenn nicht auch Frauen mit Missbrauchserfahrungen die Möglichkeit nutzen würden, auf ganz praktische Weise mehr berührende Momente in ihr Leben zu holen und dadurch in die weibliche Kraft zu kommen. In einer gesunden Sexualität steckt so viel Lebensfreude und wer sich als Frau im eigenen Körper wohl fühlt, braucht keine Magersucht mehr.

Ein Artikel von Dorothea Ristau

Weggefährtin bei Essstörungen, Selbsthilfeexpertin und Berührungskünstlerin

essmo: Wege aus der Essstörung

--- Dresden

www.wege-aus-der-essstoerung.de

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