Echter Kontakt in Beratung, Begleitung und Therapie
Grundlagen in der Arbeit mit Menschen
Ich mag am Heilnetz die Vielfalt der Menschen, die als Beratende, Begleitende oder Therapierende arbeiten, die in thematisch ganz unterschiedlichen Bereichen tätig sind und die verschiedene Methoden anwenden. Auf diese Weise bereichert jede und jeder von uns das ganzheitliche Feld auf ganz eigene Art.
Gleichzeitig gibt es Dinge, die uns verbinden – zum Beispiel, dass wir andere Menschen auf deren Weg unterstützen möchten. Und bei allen Unterschieden gibt es Punkte in der Arbeit, die uns alle betreffen.
Ganz zentral dabei ist meiner Meinung nach die Frage, wie wir die Beziehung zu den Menschen, die zu uns kommen, gestalten wollen. Denn die beste Methode nützt nichts, wenn es auf Beziehungsebene Blockaden gibt, sodass das Inhaltliche die Hilfesuchende gar nicht erreicht.
Gestaltung der Arbeitsbeziehung
Doch wie kann solch eine Beziehung im beruflichen Kontext aussehen?
In erster Linie bedeutet dies für mich, einen echten Kontakt zu ermöglichen. Denn in einer Beratung, Begleitung oder Therapie begegnen sich zwei ganz individuelle Menschen und entsprechend individuell darf dieses Zusammenkommen gestaltet werden. Wenn wir uns nicht nur in unseren Rollen, sondern wirklich als Mensch begegnen, dann bekommt die Beziehung eine ganz andere Qualität und dann können wir eine tatsächliche Verbindung zum anderen spüren.
Für diejenige, die zu uns kommt, ist eine wichtige Voraussetzung, dass sie einen Rahmen vorfindet, in dem sie sich gesehen, verstanden und angenommen fühlt – alles zentrale Punkte, die echten Kontakt ermöglichen. Denn nur wenn sie das Gefühl hat, dass sie so sein kann, wie sie ist, dann wird sie sich öffnen und erst dann werden Weiterentwicklung und Wachstum möglich.
Für uns als Helfende bedeutet das, dass wir uns klar werden dürfen, wie wir auftreten wollen: Was ist uns ganz persönlich wichtig? Was wollen wir von uns zeigen? Und welche Seiten von oder Informationen über uns wollen wir auf keinen Fall preisgeben? Wir dürfen uns also unserer ganz persönlichen Bedürfnisse, Werte und Grenzen bewusst werden. Dabei sind die Art, wie wir uns verhalten, und das, was wir von uns zeigen, nichts Starres, denn dies kann von Kontext zu Kontext, von Situation zu Situation oder von Klientin zu Klientin ganz unterschiedlich sein.
Und es ist wichtig, dass eine Atmosphäre herrscht, in der beide aufeinander eingehen. Eine Beratung, Begleitung oder Therapie ist kein einseitiges Geschehen, sondern es ist eine Interaktion, in der sich zwei Menschen aufeinander beziehen dürfen. Natürlich steht die Hilfesuchende im Mittelpunkt, doch auch die Helfende kann über das sprechen, was das Gehörte in ihr auslöst, Gefühle zeigen oder eigene Erfahrungen in den Prozess einfließen lassen.
Es geht also um eine bewusste Beziehungsgestaltung, die so gestaltet werden darf, dass sich Helfende wie auch Hilfesuchende darin wohl fühlen. Und erst, wenn diese stimmig ist, dann kann die Arbeit mit fachlichen Ansätzen und Methoden fruchten.
Erfahrungen aus meiner Arbeit
Für mich war es eine spannende Reise, mir über echte Begegnungen tiefgehende Gedanken zu machen und meinen persönlichen Stil zu finden.
Allein über die Frage, ob ich meine eigene Essstörungsgeschichte öffentlich machen möchte oder nicht, habe ich lange reflektiert. Gebe ich diese sehr persönliche Information preis, so mache ich mich verletzlich. Und gleichzeitig stellt dieser Fakt eine große Ressource für die Arbeit mit meiner Zielgruppe – Frauen mit Essstörungen – dar.
In der Einzelarbeit biete ich jeder Frau, die zu mir kommt, zu Beginn der Begleitung an, dass sie mich alles fragen kann, was sie interessiert. Vieles werde ich teilen und wenn doch mal eine Frage dabei sein sollte, die mir zu persönlich ist, so werde ich dies freundlich kommunizieren. Dieses Angebot wird oftmals dankbar angenommen, da auf diese Weise schon eine sehr vertrauensvolle Atmosphäre entsteht und gleich von Anfang an eine Verbindung da ist. Schließlich kenne ich vieles von dem, was die Frau da gerade durchmacht, aus eigener Erfahrung.
Weiterhin lade ich sie ein, dass die mich bitte prüfen möge: Findet sie mich sympathisch? Spürt sie eine Wärme? Fühlt sie sich wohl und verstanden? Und möchte sie überhaupt mit mir zusammen arbeiten? All dies sind wichtige Fragen, über die wir sprechen, um heraus zu finden, ob es auf Beziehungsebene zwischen uns funktioniert. Denn wie schon geschrieben: Nur, wenn sich die Hilfesuchende gut aufgehoben fühlt, wird sie sich öffnen und erst dann werden Wachstum und Weiterentwicklung möglich.
Und ich spreche explizit an, dass alles, was sich in der Zusammenarbeit zeigen will, auch da sein darf: eine anfängliche Unsicherheit mir gegenüber (z.B. während des Kennenlernens); Ablehnung einer von mir vorgeschlagenen Übung; Frustration, wenn es im Miteinander mal harken sollte; aber auch neugierige Fragen; der Wunsch nach intensiver Nähe (z.B. in Form einer Umarmung); Dankbarkeit für eine immer tiefer werdende Arbeitsbeziehung und gemeinsame Freude über die Fortschritte.
Die Dimension des Fühlens
Ich nehme also von Anfang an viele Aspekte, die auf Beziehungsebene wichtig sind, in den Fokus und eröffne somit neben aller inhaltlich-fachlichen Arbeit noch eine neue Dimension. Diese Ebene lässt sich nicht mit dem Verstand erfassen, sie lässt sich nur erspüren. Erlebbar wird sie durch Gefühle der Wärme, der Nähe, der Verbundenheit, des Vertrauens und der Sicherheit.
Für uns als Helfende mag das vielleicht noch neu und ungewohnt sein, unsere Ideen von der „richtigen“, professionell distanzierten Beraterin, Begleiterin oder Therapeutin loszulassen. Und stattdessen sehr individuell zu schauen, wie wir sein wollen und was wir von uns zeigen möchten, um Nähe, Verbundenheit und Vertrautheit zu ermöglichen, ohne (!!) dabei unsere persönlichen Grenzen zu überschreiten. Denn dies bedeutet eine intensive Auseinandersetzung mit uns selbst, unseren Werten, unseren Grenzen und unserer Art, mit anderen Menschen in Beziehung zu treten.
Hilfreich kann dabei die von Marshall B. Rosenberg entwickelte Gewaltfreie Kommunikation sein. Gerade das Grundlagenwerk „Gewaltfreie Kommunikation. Eine Sprache des Lebens“ kann gute Impulse geben. Zwar ist es nicht explizit für Helfende geschrieben, doch es gibt viele Anregungen, wie wir in verschiedenen Kontexten miteinander in Verbindung treten können. Dabei werden wichtige Punkte wie „Beobachten, ohne zu bewerten“, „Gefühle wahrnehmen und ausdrücken“, „Bedürfnisse“ oder „Die Macht der Empathie“ thematisiert.
Allerdings bitte ich darum, die Inhalte aus dem Buch nicht als Methode aufzufassen und umzusetzen, denn dies würde wieder von der individuellen Begegnung entfernen und echten Kontakt erschweren. Vielmehr könnte das Buch als Inspiration verstanden werden, um einen Zugang zum eigenen inneren Erleben und dem inneren Erleben der Hilfesuchenden zu bekommen und die Dimension des Fühlens in die Arbeit mit einzuladen. Und wenn wir auch über diese Ebene kommunizieren, dann werden echter Kontakt und eine erfüllende Arbeitsbeziehung möglich.
Ein Artikel von
Dorothea Ristau
01307 Dresden
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