Bedrohte unkontaktierte Völker

Stiller Ruf aus der Wildnis

Indigene Familie im Regenwald
© AdobeStock mit KI generiert von wildarun
15. November 2025 von Martina Seifert

Tief in den Regenwäldern Amazoniens, in Papua-Neuguinea oder den abgelegenen Regionen des Kongos leben Menschen, deren Existenz für uns oft wie ein Echo aus einer anderen Zeit klingt: unkontaktierte Völker. Gemeinschaften, die ohne direkten Kontakt zur globalisierten Welt leben. Ihr Dasein ist ein Ausdruck radikaler Autonomie und zugleich eine fragile Blase. Sie zu bewahren ist eine Menschheitsaufgabe.

Wer sind die unkontaktierten Völker?

Unkontaktierte Völker sind indigene Gruppen, die keine regelmäßigen Beziehungen zur Außenwelt pflegen. Manche hatten nie Kontakt; andere distanzierten sich nach traumatischen Begegnungen. Von außen erscheinen sie manchmal wie verletzliche Überreste einer vergangenen Epoche – sind aber lebendige, autonome Gesellschaften mit eigener Geschichte, Sprache, Spiritualität und komplexem Wissen über ihre Umwelt.

Bedrohungen – das stille Eindringen der Zivilisation

Ihre Welt ist nicht von der Natur bedroht, sondern von uns - durch Abholzung für Holz, Rinderzucht oder Soja, illegalen Bergbau und Rohstoffabbau, Missionierung und paternalistische Eingriffe, Klimawandel und Brandrodung, Infektionsrisiken durch Kontakt und staatlichen Entwicklungsprojekten ohne ihre Zustimmung. Bereits ein einziger unerwünschter Kontakt kann für ein ganzes Volk tödlich sein. Krankheit, Landverlust, kulturelle Zersetzung – all das droht dort, wo moderne Interessen in ihre Lebenswelt eindringen.

Warum ihr Schutz lebenswichtig ist

Diese Völker schützen nicht nur ihre Kultur – sie bewahren auch einige der letzten großen Naturräume der Erde. Die Bewahrung ihrer Lebensweise erhält wertvolle Ökosysteme, schützt indigene Sprachen und Weltsichten, achtet menschliche Vielfalt und bewahrt ein tiefes Wissen, das mit den Zyklen der Natur verbunden ist. Sie erinnern uns daran, dass menschliche Zivilisation nicht nur in Technologie, Wachstum und Fortschritt liegt – sondern auch in Einfachheit, Würde und Verbundenheit mit der Natur.

Aktuelle Erkenntnisse und ein dringender Appell

Survival International hat Ende Oktober 2025 in London den aktuellen Bericht „Am Limit: Unkontaktierte Völker im Kampf für Selbstbestimmung“ vorgestellt – die erste umfassende aktuelle Studie zu indigenen Gemeinschaften. Begleitet wurde die Veröffentlichung von den indigenen Sprecher:innen Lucas Manchineri und Maipatxi Apurinã aus Brasilien sowie Herlin Odicio aus Peru, von Survival-Direktorin Caroline Pearce und dem Schauspieler Richard Gere.
Die Untersuchung bestätigt die Existenz von mindestens 196 unkontaktierten indigenen Völkern in 10 Ländern Südamerikas, Asiens und des Pazifikraums. Doch nahezu die Hälfte könnte innerhalb der nächsten zehn Jahre verschwinden, wenn Regierungen und Unternehmen ihre Rechte und Lebensräume nicht wirksam schützen.

Hinter diesen Zahlen stehen menschliche Lebenswelten, Kulturen und tiefe Verbundenheit zur Natur. Viele dieser Völker leben in Regionen, die zu den artenreichsten unseres Planeten gehören. Sie zeigen, dass Vielfalt – biologisch wie kulturell – nicht nur ein Wert ist, sondern ein lebendiges Gefüge des Bewusstseins und des Lebens auf der Erde.
Die Studie legt verdeckte Formen der Gewalt offen, wie heimliche Angriffe im Amazonasgebiet, zerstörerische Eingriffe im paraguayischen Chaco, Bedrohungen in asiatischen und pazifischen Wäldern. 96 % dieser Völker sind vom Rohstoffabbau bedroht, darunter 65 % durch Holzeinschlag, über 40 % durch Bergbau und mehr als 20 % durch Agrarindustrie.

Hinzu kommen neuartige Gefahren unserer Zeit: Menschen, die Kontakt erzwingen, um in sozialen Medien Aufmerksamkeit zu erzeugen, missionierende Gruppen mit moderner Technologie sowie kriminelle Netzwerke, die Territorien betreten und Gewalt verbreiten. Richard Gere stellte eine zentrale Frage, die weit über Politik hinausreicht: „Wie lange noch betrachten wir unkontaktierte Völker als Randnotiz – während wir Ressourcen verbrauchen, die ihr Überleben gefährden?“

Indigene Sprecher:innen weisen darauf hin, dass diese Gemeinschaften nicht „unwissend“ oder isoliert im Sinne von Unberührtheit seien — sie wissen um die Außenwelt und entscheiden sich bewusst für eine Form von Freiheit, die auf Autonomie, Naturverbundenheit und innerer Orientierung beruht.
Wie Herlin Odicio sagte: „Wir sind besorgt. Die kriminellen Aktivitäten in unseren Gebieten verletzen zunehmend die Rechte der indigenen Bevölkerung und führen zu Gewalt.“

Dieser Bericht erinnert uns daran, dass nicht nur Territorien geschützt werden müssen, sondern auch Recht auf Selbstbestimmung und andere Lebensformen. Gerade jetzt, angesichts der COP30 in Belém, wird deutlich: Die Bewahrung indigener Gebiete ist ein Schlüsselmoment für das Weltklima – und vielleicht auch für unser zivilisiertes menschliches Dasein. Wenn wir ihre Freiheit achten, öffnen wir uns auch für die Möglichkeit, dass Vielfalt des Bewusstseins und der Lebensformen auf dieser Erde bestehen bleiben. Den vollständigen Bericht kannst du auf der Website unkontaktiert.de einsehen. (Quelle: wirimnetz.net)

Recht auf Selbstbestimmung

Die internationale Rechtslage ist eindeutig: Diese Völker haben das Recht, unberührt zu bleiben. Nicht wir haben zu entscheiden, was gut für sie ist — sie selbst bestimmen es. Das bedeutet: Schutz ihrer Territorien, Verbot des erzwungenen Kontakts, Anerkennung ihrer kulturellen und spirituellen Autonomie, Achtung statt Eingriff. Präsenz statt Kontrolle. Zuhören statt Belehren.

Was wir tun können

Auch aus der Ferne können wir beitragen und Organisationen unterstützen, die ihre Rechte verteidigen, politischen Druck ausüben, Produkte vermeiden, die Waldzerstörung fördern und Bewusstsein schaffen. Nicht Aktionismus, sondern Verantwortung. Nicht Romantisierung, sondern Respekt.

Weiterführende Organisationen und Unterstützungsmöglichkeiten:

Diese Organisationen setzen sich aktiv für den Schutz indigener und unkontaktierter Völker ein:

Mögen wir die Freiheit, die wir für uns selbst wünschen, auch denjenigen zugestehen, die einen anderen Weg gewählt haben. Ihr Recht auf Stille ist Teil unserer gemeinsamen Menschlichkeit.

Ein Artikel von
Freie Autorin, Text, Lektorat