Bericht aus dem Lockdown

Sanatorium von Abi Palmer

Bericht aus dem Lockdown
© Ink Press

von Martina Seifert, Texterin, Lektorin, Yogalehrerin
(letzte Überarbeitung: 18. August 2022)

Sanatorium. Ein Buchtitel, der beim ersten Lesen vielleicht nicht gleich große Begeisterung auslöst. Und der Name der Autorin, Abi Palmer, dürfte hierzulande vielleicht auch nur wenigen bekannt sein. Doch das Essay „Sanatorium“ hat es in sich, es ist „...ein Buch darüber, was es bedeutet, lebendig zu sein!“ (Sinéad Gleeson)

Lesung aus der Badewanne

Neugierig geworden? So ging es mir auch. Das 2022 erstmals auf Deutsch erschienene Buch „Sanatorium“ (Penned in the Margins) stellte die britische Künstlerin Abi Palmer bereits während des ersten Lockdowns 2020 vor, - live aus ihrer blauen, aufblasbaren Badewanne. Während dieser Zeit startete Abi Plamer in den sozialen Medien auch eine Reihe informeller Diskussionen und Performances mit verschiedenen Künstler*innen, die alle in ihrer Badewanne saßen - ein Ambiente, das in Zeiten des Abstands Momente der Intimität und Nähe schuf.

Wer ist Abi Palmer?

Über die Autorin selbst findet sich wenig, weder auf der Rückseite des Buches noch im Netz. Auf ihrer Webseite erhalten wir einen ersten Eindruck der Künstlerin und von dem, was sie bewegt: Sie ist jung, schrill und bunt, eine Frau, die einen mutigen Blick nimmt auf Themen wie Rasse, Geschlecht, Klasse und Körperlichkeit und diese auf feinsinnige Weise seziert.

Palmer ist eine Frau mit chronischen Krankheiten, die sich in ihrem Essay treiben lässt im Wasser und in Worten. Sie ist eine queere Frau, eben anders, quer zur Norm, und das nicht nur auf ihre Sexualität bezogen, sondern auch auf das Anderssein selbst. Ihre Sprache ist dementsprechend intim, aber auch krass, tiefgreifend und voller Rhythmik und Poesie.

Nominiert für den Barbellion-Preis 2020 beschreibt und umkreist sie in ihrem Buch in kurzen Abschnitten ihre Erfahrungen während eines vierwöchigen Aufenthalts in Budapest, Ungarn, wo sie 2017, von einem Forschungsprogramm finanziert, an einem Thermalwasser-Rehabilitationsprogramm in einem alteingesessenen Sanatorium teilnahm. Während ihrer Hydrotherapie lernt sie, sich immer wieder neu auf die Botschaften Ihres Körpers einzulassen, statt strickt den Anweisungen ehrgeiziger Physiotherapeut*innen zu folgen.

Schwebezustände im Wasser

Ihre autobiografische Befragung verläuft zwischen dem grotesk anmutenden Luxus im fremden Land und der Armseligkeit in London, zwischen „hellem Schlafen und dunklem Wachen“ (Else Lasker-Schüler) und im inneren Dialog mit der spanischen Mystikerin und Karmeliterin Teresa von Avila. Beide Frauen sehnen sich nach Erlösung, der Ablösung vom Körperlichen, Irdischen, dem Schweben zwischen Leben und Tod. Abi Palmer erfährt diese befreienden Schwebezustände im Wasser, Theresa von Avila in ihrer mystischen Schau. Einfache Skizzen diverser Yoga-Positionen, gezeichnet von dem Dichter und Künstler Nick Murray, fügen sich harmonisch in die mäandernde Erzählweise ein.

Einfühlsame Übersetzung und kenntnisreiches Nachwort

Die Übersetzerinnen des Buches, Kultur- und Literaturwissenschaftlerin Astrid Köhler und Henrike Schmidt, haben Sanatorium mit einem sehr aufschlussreichen Nachwort versehen. Im Austausch mit der Autorin haben sie sich dafür entschieden, bei ihrer Übersetzung in offenen Fällen immer die weibliche Pluralform zu verwenden. Auch das noch immer gebräuchliche unflektierbare Pronomen „man“, das im Deutschen der unspezifischen, geschlechtsneutralen pronominalen Bezugnahme auf Personen dient, haben sie vermieden. Stattdessen haben sie die persönliche Anrede „Du“ gewählt, sodass das sprechende Schreiben der Autorin, das immer den Dialog, das Gegenüber sucht, mit inszeniert.

Von Palmers streitbarer Sprache geht nichts verloren. Überlegt gehen die Übersetzer*innen zum Beispiel mit dem englischen Begriff „to float“ („schweben“, aber auch „entspannt im Wasser treiben“) um. Auch verlieren sie nicht den Blick für den potenziellen Konflikt zwischen sprachlicher Stigmatisierung und Schönreden von Menschen mit Behinderung.

Fazit

In mir hat Abi Palmers Buchdebüt Sanatorium lange nachgewirkt. Mutig begegnet die junge Frau ihren körperlichen Leiden mit Achtsamkeit, ganz ohne Weinerlichkeit, ringt verzweifelt um Erlösung, ohne die klare Sicht auf das Ich und die Welt zu verlieren und schildert ihre Erfahrungen in einer Prosa auf hohem literarischen Niveau.

Das Buch "Sanatorium" ist für 21 € im Buchhandel vor Ort oder auch bei der sozialen Online-Buchhandlung buch7.de erhältlich. Mehr zu der Autorin finden Sie auf ihrer englischsprachigen Webseite Abi Palmer.

Ein Artikel von Martina Seifert

Freie Autorin, Text, Lektorat

Hegede 6
33617 Bielefeld

www.martinaseifert.de

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